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Flüchtlingsfrauen. (Un)sichtbar, (un)sicher und (un)abhängig?

Zum heutigen Weltfrauentag möchte ich über Flüchtlingsfrauen schreiben. Werden sie in der internationalen Politik gesehen? Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Und welche Chancen bietet ihnen gegebenenfalls die Flucht?

 

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Publiziert auf: FlüchtlingsforschungsBlog

 

Laut UNHCR waren 2013 49% aller Flüchtlinge weltweit Frauen und Mädchen. Daher scheint die Frage der Sichtbarkeit vielleicht erst einmal merkwürdig.

 

Werden Flüchtlingsfrauen gesehen?

Obwohl Flüchtlingsfrauen einen großen Anteil aller Flüchtlinge weltweit ausmachen, kritisieren viele Studien, dass Frauen nicht (ausreichend) im Flüchtlingsschutz beachtet werden. Dies ist historisch begründet, da die Flüchtlingsdefinition laut dem Abkommen über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1951 und dem Protokoll von 1967 keinerlei Geschlechtsbezüge aufweist.

Zur Zeit der Etablierung der Flüchtlingskonvention wurde der Flüchtling stereotypisch als junger, politisch aktiver Mann gesehen, sodass das Verständnis des Flüchtlingskonstrukts männlich dominiert ist. Außerdem wurden Frauen damals nicht als politische Subjekte wahrgenommen, sondern vielmehr mit dem privaten Raum in Verbindung gebracht.

Obwohl UNHCR 1990 eine Policy on Refugee Women und ein Jahr später dazugehörige Richtlinien veröffentlichte, die von weiteren Dokumenten gefolgt waren, hielt die vielschichtige Kritik der Genderblindheit aus der Wissenschaft an. So fragen u.a. Nahla Valji u.a., wo die Frauen im Flüchtlingsschutz sind, und hebt Nora Markard das ‚männliche Paradigma‘ der Flüchtlingskonvention hervor. Georgina Firth und Barbara Mauthe betonen die Vernachlässigung der Erfahrungen von Frauen im Flüchtlingsschutz, und Susan Martin zeigt in ihrem Buch Refugee Women die komplexen Herausforderungen von Flüchtlingsfrauen.

Mittlerweile wird zwar u.a. argumentiert, dass Frauen und ihre spezifischen Fluchtgründe durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in der Flüchtlingsdefinition enthalten sind, was allerdings auch kritisch gesehen wird. Vor dem Hintergrund, dass Frauen und Mädchen ca. die Hälfte aller Flüchtlinge ausmachen, bin ich mir auch unsicher, ob das Konzept der „sozialen Gruppe“ ausreicht.

 

Doch welche Herausforderungen stellen sich Flüchtlingsfrauen?

Derzeit arbeite ich im Forschungsprojekt zu „Genderbeziehungen im begrenzten Raum“ am Zentrum für Konfliktforschung der Uni Marburg. Dabei untersuchen wir die sexuelle und geschlechterbasierte Gewalt gegen Frauen in Flüchtlingslagern mit einer Fallstudie in Uganda.

Flüchtlinge, Männer wie auch Frauen, berichteten in vielen Gesprächen von der sexuellen und geschlechterbasierten Gewalt. Zu den häufigsten Formen gehören Vergewaltigung, häusliche Gewalt, frühe und Zwangsverheiratung sowie strukturelle Formen insbesondere durch geschlechterspezifische Diskriminierung. Letzteres bezieht sich u.a. auf den restriktiven Zugang zu Bildung für Mädchen. Bei einer Umfrage mit 351 Flüchtlingen gab die weite Mehrheit an, dass häusliche Gewalt regelmäßig oder täglich stattfindet.

Ähnliche Gefahren und Bedingungen zeigen sich auch in anderen Flüchtlingskontexten wie bspw. in Tansania, Malawi, Indien, Libanon und Jordanien. Somit ist die sexuelle und geschlechterbasierte Gewalt gegen Frauen in Flüchtlingslagern ein globales Phänomen.

Und in urbanen Zentren? Wenn Flüchtlinge in Städten leben, erhalten sie häufig keine systematische Unterstützung von Hilfsorganisationen. Sie lassen sich dort selbstständig nieder, wodurch sie zwar ein selbstbestimmteres Leben führen können, aber auch korrupten Strukturen ausgesetzt sind. Vor allem Frauen arbeiten häufig in informellen Sektoren und sind sexuellem Missbrauch durch KollegInnen und ArbeitgeberInnen ausgesetzt. Sie müssen als kommerzielle Sexarbeiterinnen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, oder sie werden zu sexuellen Gegenleistungen für Nahrung oder Unterkunft gezwungen.

Unabhängig von ihrem Aufenthaltsort müssen Frauen auf der Flucht sowie im Flüchtlingskontext ihre Kinder versorgen. Doch ist der Zugang zu Ressourcen oft schwierig, und fehlen schützende soziale Strukturen. Dies nicht zuletzt auch, weil sie oft ohne ihre Ehemänner und weitere Familienkreise fliehen. Manche Kinder von Flüchtlingsfrauen sind durch Vergewaltigungen entstanden und positive emotionale Beziehungen aufzubauen, ist eine große Herausforderung. Hinzu kommt, dass sie im Konflikt, auf der Flucht und in Flüchtlingslagern traumatische Erlebnisse erfahren können, die auf sie wirken und den Aufbau von stabilen Bindungen zu ihren Kindern und anderen Personen erschweren.

Dass die Zwangsmigration und das Leben in Lagern und Städten insbesondere für Flüchtlingsfrauen und -mädchen vielfältige Gefahren bergen, ist demnach nicht neu. Im Handbuch für den Schutz von Frauen und Mädchen weist UNHCR auf Seite 39 explizit darauf hin, dass die Flüchtlingssituationen mit schwerwiegenden Herausforderungen und Unsicherheiten für Frauen und Mädchen verbunden sein kann. Obwohl Hilfsorganisationen Schutzmaßnahmen umsetzen, was wir auch in der Feldforschung beobachten konnten, hält die Gewalt an.

 

Welche Chancen kann die Flucht Flüchtlingsfrauen bieten?

Chancen im Kontext von Flucht, Flüchtlingslager und all den Restriktionen und Herausforderungen? Wie kann das miteinander verknüpft sein?

Neben den Gefahren sagt UNHCR in dem Handbuch für den Schutz von Frauen und Mädchen auch, dass die Flucht eine empowerende Wirkung insbesondere für Flüchtlingsfrauen haben kann. Auf Seite 40 wird erklärt:

„Zwangsvertreibung und Repatriierung kann eine ermächtigende Erfahrung für Frauen sein. Ihre Erfahrungen und der durch die Vertreibung verursachte Wandel der Geschlechterrollen können sie dazu befähigen, die traditionellen Geschlechterrollen, die sie an ihrer Partizipation in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen hindern, aktiv zu hinterfragen. Dort, wo sie sich organisiert haben, können sie ihr Recht auf Partizipation in unterschiedlichen Aspekten des Lebens im Lager oder in Städten und bei Heimkehr in ihren Gemeinden beanspruchen.“ [übersetzt]

Nach all den Informationen über die Gewalt mag dieser Perspektivwechsel seltsam erscheinen. Allerdings zeigt sich einerseits, dass mit der Flucht ein Ortswechsel verbunden ist, durch den ursprüngliche Rollen und Funktionen von Männern und Frauen ggf. nicht mehr in der herkömmlichen Art ausgeführt werden können, sodass die Geschlechterverhältnisse neu verhandelt werden. Das bietet Chancen.

Andererseits erhalten Frauen den gleichen – oder gar bevorzugen – Zugang zu Dienstleistungen durch die Flüchtlingshilfe, was sie zum Teil als ermächtigend erfahren und ggf. auch ein Motiv für die Flucht sein kann. So erklärt Deborah Mulumba bspw., dass Flüchtlingsfrauen in Uganda den gleichgestellten Zugang zu Land als ermächtigend erfahren, da sie dies in ihrem Herkunftsland nicht genossen. Sie konnten nun unabhängig von ihren Ehemännern und Familien über ihr Land entscheiden. Marisa Ensor hebt im Kontext von südsudanesischen Flüchtlingsmädchen und -jungen Bewältigungsmechanismen hervor, und Asiya Siddiquee und Carolyn Kagan belegen Empowermentprozesse von umgesiedelten Frauen in England durch den Zugang zu Internet und erweiterten Netzwerken.

Als ich mich mit Empowermentfragen beschäftigt habe, zeigte sich zwar, dass Flüchtlingsfrauen den strukturell gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen in Lagern positiv erfahren können. Es zeigte sich aber auch, dass die Abhängigkeiten an diese Leistungen der Organisationen limitieren können, sodass Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Partizipationsmöglichkeiten nötig sind. Zudem wurde deutlich, dass Männer die bevorzugte Behandlung von Frauen als vernachlässigend oder gar ausgrenzend erfahren, was kontraproduktiv ist. Auch ihre Teilnahme ist wichtig.

 

Flüchtlingsfrauen… und -männer und andere

Die Flucht und Zwangsmigration birgt daher nicht nur Gefahren für Flüchtlingsfrauen, sondern unter entsprechend fördernden Bedingungen auch Raum für positive Entwicklungen. Hilfsorganisationen bemühen sich seit Jahren, Projekte zum Schutz von Frauen und für ihr Empowerment umzusetzen. Häufig geht es dabei um bewusstseinsschaffende Maßnahmen. Allerdings sind diese Projekt oft nur für Frauen, nicht aber für Männer.

Obwohl Frauen und Männer Konflikte, Gewalt, Flucht und das Leben in Flüchtlingslagern oder urbanen Zentren unterschiedlich erfahren, so sind sie doch miteinander verbunden. Unabhängig davon, ob es um Gewalt gegen Frauen oder ihr Empowerment geht, letztlich bezieht es sich auf die Rolle der Frau, die mit der des Mannes verknüpft ist. Wie diese aufeinander bezogenen Rollen gelebt werden, wirkt sich wiederum auf die Familien- und sozialen Systeme und insbesondere die Kinder aus.

Daher denke ich, dass wir die Bedingungen von Frauen nicht losgelöst von denen der Männer betrachtet können. Weder in der wissenschaftlichen Analyse noch in der Konzipierung und Umsetzung von Hilfsprojekten.

 

Das  Forschungsprojekt „Genderbeziehungen im begrenzten Raum. Bedingungen, Ausmaß und Formen von sexueller Gewalt an Frauen in kriegsbedingten Flüchtlingslagern“ wird am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg durchgeführt und durch die Deutsche Stiftung Friedensforschung unterstützt, bei der ich mich hiermit vielmals bedanke.

 

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